Gestresste Hunde mit Massage entspannen

Viele meiner PatientInnen glauben nicht an Stress. Also, daran, dass ihre Hunde Stress haben.

Dann höre ich oft: “Stress? Mein Hund hat keinen Stress! Ich tue alles für ihn! Natürlich bekommt er nur das allerbeste Futter (setze gern selbst ein, was das für dich bedeutet), wird regelmäßig sowohl körperlich als auch geistig ausgelastet und darf regelmäßig seine Kumpels am Hundeplatz treffen. Also wo soll mein Hund Stress haben?”

Unter uns? 

Meine Hunde haben sehr wohl Stress! Die Terrier, wenn sie sich beim Mäuse-Jagen körperlich verausgaben, der Labrador, wenn er darauf wartet, dass ich seinen Dummy freigebe und alle drei, wenn sie mit aufs Seminar fahren dürfen.”

Wer führt jetzt das bessere Leben von unseren Hunden?

Sind meine drei ein Fall für den Tierschutz? Ich hoffe nicht. 

 

Was bedeutet Stress beim Hund eigentlich?

 

Wollen wir uns einmal darüber unterhalten, was Stress eigentlich bedeutet! Das englische Wort Stress lässt sich eigentlich ganz gut übersetzen: „to stress something“ bedeutet, Druck auf ein Material auszuüben und „to be stressed“ bedeutet, unter Druck zu stehen. 

In unserem Fall ist das Material, das unter Druck gesetzt wird, der Organismus des Hundes. Der gesunde Organismus reagiert auf diesen Druck mit körperlichen Veränderungen: Der Sympathikus – der anregende Teil des autonomen Nervensystems – bringt alle Organe, die mit Laufen und Bewegung zu tun haben, auf Hochspannung. Herzschlag und Pulsfrequenz steigen an, die Muskeln werden vermehrt durchblutet und schon vorab angespannt, um besonders effektiv reagieren zu können. 

Dies kann im Übrigen nicht nur durch stressige Situationen für deinen Hund entstehen! Biologinnen der Universität Linköping fanden in ihrer im Journal “Scientific Reports” veröffentlichten Studie heraus, dass sich der Stress des Besitzers/der Besitzerin auf den Hund übertragen kann!

 

Die vier F-Verhaltensmuster

 

Der Alarmzustand wird in Sekundenbruchteilen hergestellt: Sowohl Nervenleitung als auch Hormone, die im Blut kreisen, sorgen dafür, dass der Hund reaktionsbereit ist. 

Je nach Situation, vergangenen Erfahrungen und Persönlichkeit wird der Hund eines der sogenannten F-Verhaltensmuster zeigen: Fight, Flight, Fiddle about oder Freeze. Dies nennt man das Offensiv-Defensiv-Modell (zu finden unter anderem bei Bernauer-Münz, 1995 und Archer, 2009)

Nur ein Beispiel: Meine Hündin Toffee hat aus zwei unerfreulichen Begegnungen in ihrer Jugend gelernt, dass kleine Hunde, die davonlaufen (flight), immer eingeholt werden. Sie hat es mit einer anderen Strategie versucht, nämlich dem raschen, unvermuteten Angriff (fight) und damit Erfolg gehabt. Somit reagiert sie in Stresssituationen am liebsten mit Angriff und alle Trainingsansätze für diesen kleinen Terrier lassen sich am besten über die rasche Bewegung nach vorne ausarbeiten. 

Sugar, Toffees Mutter, hat niemals schlechte Erfahrungen gemacht. Sie bevorzugt die Taktik des Fiddle about – eine Spielaufforderung hilft ihr, die meisten Situationen lösen. 

Kiwi, der Windhund, weiß aus vielen vielen Begegnungen, dass sie mit ihrer Sprintgeschwindigkeit allen überlegen ist. So wird eine unbekannte, vielleicht bedrohliche Situation erstmal mit Erstarren und Einfrieren (freeze) beantwortet und danach, je nach Stressor, mit schnellem Rennen nach vorne (fight) oder in die Gegenrichtung weg vom Stressor (flight). 

In allen vier Verhaltensmustern setzen der Sympathikus und die Stresshormone die Muskulatur, die Faszien, die Sinnesorgane und den Kreislauf in einen hochangespannten Zustand. Egal, wie die Hunde reagieren, nach einer angemessenen Antwort auf den Stress klingt der Hormonspiegel ab. Der Parasympathikus, der Teil des autonomen Nervensystems, der für Ruhe verantwortlich ist, schaltet sich wieder zu und die Anspannung im Organismus löst sich restlos auf. 

 

Warum Stress per se nichts Schlechtes ist

 

Es ist mir ganz wichtig, zu betonen, dass Stress eine körperliche Reaktion auf einen Reiz ist. Das können der Hase, das Leckerli, der Ball oder auch der feindliche Nachbarshund oder der Postbote sein. Stress ist per se völlig wertungsfrei. 

Wollen Hunde gerne unter Stress geraten? Aber sicher! Sie wollen rennen, hetzen, spielen, raufen, pöbeln und bellen und knurren und, und, und … soziale Wesen müssen die Möglichkeit haben, sich schnell und heftig aneinander zu reiben und miteinander zu leben. 

Stress hat nichts mit Angst oder Sorge zu tun! Also wo ist es jetzt das Problem unserer Hunde? Zwischen den Zeilen – wie meistens. Oftmals haben die Hunde keine Möglichkeit, einen Stressor vernünftig zu beantworten, es prasseln viele Stressoren ohne Erholungsphase auf unsere Hunde ein und außerdem addieren sich viele kleine Stressoren auf, bis die Reizschwelle überschritten ist und Hunde damit nicht mehr fertig werden. 

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Wann Stress den Hund krank macht

 

In einem Umfeld, das nicht mehr hundegerecht ist, können Hunde kein stressarmes Leben leben. Mit völlig unphysiologischen Verhaltensregeln beschneiden wir die vernünftige Antwort auf Stresssituationen, sodass die Hunde den Stress nicht mehr abbauen können und wir halten unsere Hunde von diesen Situationen fern. 

Um weniger stressanfällig zu werden, brauchen Hunde aber Situationen, die sie bewältigen können. Vermeidungsstrategien (kein wildes Spiel, keine Kommunikation, nichts Unvorhergesehenes) produzieren Tiere, die auf Stresssituationen nicht angemessen reagieren können. 

Und schon haben wir Hunde vor uns, die an ihrem Stress erkranken! Erhält der Hund ein Stresssignal, also quasi einen Adrenalinflash, werden die Muskeln vermehrt durchblutet, damit sie sich besonders effizient kontrahieren können. Dies ist per se nichts Schlechtes, kann jedoch chronisch werden. Wenn sich der Stress nicht auflöst, führt das zu einer Dauerkontraktion der Muskulatur und in Folge zu einer erhöhten Grundspannung der Muskulatur, in einem Zusammenquetschen von Blut- und Lymphgefäßen in den Faszien und in einer Verklebung und Verquellung der Schichten des Bindegewebes. 

Der Cortisolspiegel, der unter chronischem Stress hoch bleibt, schwächt das Immunsystem und fördert viele chronische Krankheiten. Die ständige Sympathikusaktivität lässt die Hunde nicht zur Ruhe kommen und schaltet das Verdauungssystem ab. Deshalb leiden auch viele dieser Hunde unter Verdauungsproblemen. 

 

Welche Hunde profitieren von einer Massage?

 

Bei einer Massage wird der Parasympathikus “künstlich” aktiviert und damit die Ruhe gefördert. Diese Hunde profitieren ganz besonders davon:

• Hunde, die immer „angeknipst“ sind

• Hunde, die viel und in verschiedenen Disziplinen arbeiten

• Therapiehunde, die sich auf die Erfüllung von Bedürfnissen anderer konzentrieren müssen

• Diensthunde, die nicht genau wissen, wann die Tür des Kofferraums aufgeht und ihr voller Einsatz verlangt wird

• Hunde, die in einem dysfunktionalen Rudel leben

• Hunde im Tierschutzheim

• Hunde mit chronischen Schmerzen

• Hunde, die ständig überfordert werden 

 

Was bewirkt Massage bei Hunden?

 

Doch warum wirkt Massage bei Hunden überhaupt? Berührung senkt rein physiologisch den Bewegungsreiz und aktiviert das Ruhesystem. Hunde putzen und pflegen einander nicht während der Jagd, sondern danach, wenn sie sich im Sand zusammenlegen und Ruhe einkehren soll. 

So können auch wir mit unseren Massagegriffen den Blutdruck senken, ebenso wie die Pulsfrequenz und die Frequenz der Atemzüge. Dadurch füllt sich das Herz besser mit Blut und die inneren Organe können vermehrt durchblutet werden. 

Das Verdauungssystem wird wieder angeregt und die Blutfülle aus dem Bewegungssystem abgezogen. Mit den geeigneten Massagegriffen können wir mechanisch die Flüssigkeit aus den Bewegungsstrukturen in Richtung Lymphabflusszentren oder in Richtung Herz bewegen. 

 

Wie wird der Hund massiert?

 

Entspannungsgriffe gibt es viele in der Massage. Ein aufgeregter, unruhiger Hund wird am Anfang auch nicht alle die Techniken zulassen. Aber wenn der Hund erstmal gelernt hat, unseren Händen zu vertrauen, dann funktioniert die Entspannung am Tisch ganz wunderbar. 

Wir können aber auch ritualisierte Griffe trainieren, die wir mit konditionierten Entspannungsübungen verbinden. Dann reicht ein kurzes Zirkeln an der Stirn oder ein sanftes Klopfen an der Vorderbrust aus, um den Sympathikus herunterzufahren. 

Wann immer möglich massieren wir am unbelasteten Muskel. Das bedeutet optimalerweise, dass der Hund in Seitenlage vor uns liegt. Das geht natürlich nicht bei jedem Hund und schon gar nicht beim ersten Mal, aber prinzipiell ist das mein erklärtes Ziel: Der Hund liegt ruhig in Seitenlage vor mir am Tisch.

Ich glaube, ich habe in meiner Patientenklientel zwei Hunde, bei denen das nicht klappt. Einer davon ist ein Irish Wolf, der einfach nicht auf meinen Tisch passt und bei dem anderen – einem schwarzen Labrador – findet der Besitzer das einfach nur blöd. Alle anderen liegen gerne und zunehmend entspannt. 

Meine Massagetechniken bei gestressten Hunden beginnen gerne an den „heiligen“ Stellen. Die sind dort, wo sich der Hund ganz besonders gerne angreifen lässt. Meistens wissen die Besitzer, wo diese sind. Meine Sugar fällt beim Streicheln der Vorderbrust in Trance, Toffee liebt es, an der Stirn berührt zu werden und Spotty, der Labrador, bevorzugt den Übergang zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein. 

Die BesitzerInnen der Hunde wissen meist genau, was der Hund mag und was nicht. Ich finde es ganz wichtig, dass wir uns dem Hund langsam nähern und uns wirklich anfreunden – schließlich muss man sich von Fremden nicht ohne Skepsis und Körperanspannung (= Stress) angreifen lassen. 

 

Massagegriffe für den Hund

 

Am Anfang der ersten Sitzung nehme ich das, was mir der Hund geben mag, einfach an und wenn es möglich ist, dann arbeite ich mich vom Kopf über den Rücken zu den Extremitäten und den Pfoten – oft schwierig, dafür aber dann umso lohnender – und am Schluss zum Bauch vor. 

Die Techniken beginnen immer mit möglichst großer Auflagefläche der Hand und mit so wenig Druck wie möglich. Wenn der Hund kitzlig erscheint, dann erhöhe ich den Druck vorsichtig. Ich finde es immer schwierig, Massagegriffe ohne vorangegangene Einweisung vorzustellen, aber ich möchte zum Thema Entspannung gerne drei Griffe, die meine Patienten besonders mögen, vorstellen.

 

Großflächiges Streichen 

Ich lege beide Hände möglichst nahe neben der Wirbelsäule auf den Nacken des Hundes, gleich hinter den Ohren, und streiche von vorne nach hinten über das Fell des Hundes. Die Hände gleiten über das Fell und verschieben die Haut nicht. Die Aufmerksamkeit des Masseurs liegt in der Mitte der Handfläche. 

Nach dem Becken wird der Schwanz mit einer Hand umfasst und nach hinten ausgestrichen. Auch hier gleitet die Hand über das Fell, ohne die Haut zu verschieben. 15-20 Mal wiederholen. 

großflächiges Streichen Hund

 

Ohren langziehen

Ich nehme die Ohren des Hundes in die Hand, schließe die Hand und streiche langsam vom Gehörgang zur Seite. Dabei lasse ich das Ohr durch meine geschlossene Hand gleiten. 15-20 Mal wiederholen.

Ohren langziehen Massage Hund

 

Schütteln der Extremitäten 

Der Hund liegt in Seitenlage vor mir, ich nehme seine Pfoten zur Hand und schüttle sie in Richtung eines normalen Schrittes, also von vorne nach hinten und umgekehrt. Es bewegt sich nur die Extremität, an der ich arbeite, ansonsten liegt der Hund ruhig vor mir. 15-20 Mal wiederholen. 

Schütteln der Extremitäten beim Hund

 

Fazit

 

Stress ist für Hunde ebenso belastend wie für uns Menschen. Umso mehr freuen sich auch deine Vierbeiner über eine gelegentliche liebevolle Massage, die die Muskeln lockert und dem Hund das Gefühl von Zuneigung und Liebe schenkt. 

Ich würde mich freuen, wenn du diese Techniken ausprobierst und mir sagst, wie du damit zurecht kommst – und, ganz wichtig, wie dein Hund deine Arbeit findet. Viel Spaß beim Massieren deines Hundes!

Dr. Sabine Mai

Seit meinem zweiten Lebensjahr, wollte ich Tierärztin werden – das behauptet zumindest meine Mama. Und das ist mir auch gut gelungen. Heute ist mein Beruf gleichzeitig Berufung. Neben meiner Tätigkeit als Tierärztin bin ich auch Dozentin der Dogtisch Academy und leite den Lehrgang zum/zur HundemasseurIn.

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